Dieses Jahr (2023) wäre Dr. Walther Lechler 100 geworden und genau vor 10 Jahren ist er in den Himmel aufgefahren.
Beim diesjährigen Pfingsttreffen in Bad Herrenalb wurde des ehemaligen Chefarztes unserer Klinik mit tiefer Dankbarkeit und in liebevoller Erinnerung gedacht.
Am 4. Advents-Sonntag, den 22. Dezember 2013, ist Dr. Walther Lechler im gesegneten Alter von 90 Jahren gestorben.
Walther war ein Arzt im besten Sinn des Wortes, der nicht nur vielen Menschen ein Lehrer, Helfer und Begleiter war, sondern auch sich selbst mit großer Offenheit und Berührbarkeit immer wieder auf Neues eingelassen hat. Ehrlichkeit, Offenheit und Bereitschaft zu neuen Erfahrungen waren für Walther wesentlich, um die eigene Geschichte wieder finden zu können.
Von 1971 bis 1988, in seiner Zeit als Chefarzt der sozio-psychosomatischen Klinik im Ortsteil Kullenmühle in Bad Herrenalb, begründete Walther das Bad Herrenalber Modell. Hier verwirklichte er seine Lebensschule, wo das Sich-Einlassen auf Begegnung im Mittelpunkt stand. Er verwendete das Wortspiel “im Leben lebend, leben lernen“, um diese Lebensschule zu beschreiben und prägte Begriffe wie “Hilfe zur Selbsthilfe”, “Sprache des Herzens”, “Un-Sinn”, “sobria ebrietas – nüchterne Trunkenheit”, “ansteckende Gesundheit” etc.
Während seines Aufenthaltes in Amerika hatten ihn seine persönlichen spirituellen Erfahrungen bei den Anonymen Alkoholikern tief geprägt. Dort lernte er auch die humanistische Psychologie kennen. “Über diese Erfahrungen entstand in mir mehr und mehr der Gedanke und die Einstellung, dass alles Kranke im Grunde Ausfluss einer ungenügenden, unzureichenden Haltung dem Leben gegenüber ist. So wuchs in mir mehr und mehr der Gedanke, dass es weniger um Behandeln geht, sondern eine Ausbildung für das Leben erfolgen muss.” (Dr. Walther Lechler). Aus diesen persönlichen Erfahrungen heraus wurde die Lehr- und Lern-Gemeinschaft und das 12- Schritte-Programm zu einem wesentlichen Bestandteil der Lebensschule.
1969 hatte er im Zusammenhang mit der Einrichtung Daytop den amerikanischen Arzt und Psychoanalytiker Dr. Daniel Casriel kennengelernt. Casriel hatte mit seinem New Identity Process (später umbenannt in Bonding-Psychotherapie) eine Methode entdeckt, die es ermöglichte, das Unaussprechliche in uns zum Ausdruck zu bringen. Walters Erfahrungen bei Dan sollten ein zusätzlicher Baustein dieser Lebensschule werden. Den Begriff Bonding, der ursprünglich aus der Säuglingsforschung übernommen wurde, verstand er dabei in einem weiten und umfassenden Sinn. “Das Wort Bonding bedeutet auch Liebe, Leben, Nähe, Vertrauen, Hingabe, Fähigkeit, und wenn wir durch alle menschlichen Beziehungen hindurchgegangen sind, dann bedeutet es auch Glaube und unseren unmittelbaren Bezug zu Gott. Und in diesem Bonding ist auch ausgedrückt, dass wir biologisch, körperlich, anatomisch, so wie wir miteinander jetzt leben, angelegt sind auf die Erfüllung unserer Bedürfnisse, der ursprünglichsten Bedürfnisse, nämlich satt zu werden und zwar nicht nur, wie wir es im Körperlichen erleben, sondern innerlich satt.” (Dr. Walther Lechler)
Walther erkannte früh die heilende Kraft der Gemeinschaft. Einer seiner Lieblingssprüche war „Der Mensch ist des Menschen Medizin“. In seiner Lehr- und Lern- Gemeinschaft war die Begegnung daher von zentraler Bedeutung. “Eine Lebensschule ist für mich ein Ort, an dem Menschen, die Lebenshilfe brauchen, mehr finden können als Anwendungen oder Behandlungen, wie Therapien von den Krankenkassen genannt werden. Ein Ort, wo Hilfesuchende mit dem eigentlichen Leben in Kontakt kommen und ihr wahres Selbst finden können. Wo der Therapeut ein Begleiter, Zeuge und Mut-Macher ist und der Patient ein Lernender. Ein Schüler, der bis dahin nicht die Möglichkeit gehabt hat zu lernen, was er zu einem erfüllten Leben gebraucht hätte. Ein Neugieriger auch, der Neues erfahren will. So wie wir alle unser Leben lang Lernende bleiben, wenn wir nicht bereits innerlich gestorben sind. Wo Menschen sich gegenseitig ermutigen in einem Lernprozess, in dem der Mitmensch und Freund heilsam ist, der mit uns in einer existentiellen Not ein Stück Weg geht. Damit wir selbst die Antworten finden können, die wir brauchen, um uns verantwortlich als Erwachsene dem Leben mit seiner enormen Vielseitigkeit mit unserer ganzen Potenz zu stellen.” (Dr. Walther Lechler)
Das Bad Herrenalber Modell ist ein von Dr. Walther H. Lechler entwickeltes Therapiekonzept für eine therapeutische Gemeinschaft. 1971 konzipierte Dr. Lechler mit einem Team junger Ärzte eine psychosomatische Klinik in dem Schwarzwald-Ort Bad Herrenalb. Das Konzept wich vom Bild üblicher stationärer Behandlung ab, denn es verband psychosomatische Klinik, therapeutische Gemeinschaft und den Selbsthilfegruppenansatz der AA (Anonyme Alkoholiker) zu einem wirkungsvollen Ganzen – der Lebensschule Bad Herrenalb. In der Klinik sollten suchende und motivierte Menschen eine Gelegenheit haben, in einem intensiven Prozess Anstöße zu einer Neu- und Umorientierung zu erhalten. Außerdem können alle, die sowohl mit dem Klinikansatz wie mit dem Zwölf-Stufen-Programm oder auch anderen Genesungsprogrammen in Verbindung gekommen sind, an diesem gastlichen Ort zum Kräfte-, Hoffnung- und Ausblick-Finden zurückkommen.
Grundlage der therapeutischen Arbeit im Herrenalber Modell bildet eine ganzheitliche Betrachtungsweise, wonach ein Mensch sein Leben in körperlicher, seelischer, geistiger und sozialer Hinsicht entfalten und verwirklichen, aber auch verfehlen kann. Therapie wird als Hilfe zur Selbsthilfe aufgefasst, d.h. als eine Stärkung der nach Gesundung drängenden Anteile in jedem einzelnen Menschen. Das Behandlungskonzept beruht auf den Grundlagen der humanistischen Psychotherapie und ist tiefenpsychologisch fundiert.
Dr. Walther Lechler gründete somit die erste 12-Schritte-Klinik. Das Herrenalber Modell prägte und prägt einen Teil der psychotherapeutischen und Selbsthilfekultur in Deutschland und darüber hinaus.
Das Herrenalber Modell basiert auf der Einsicht, dass der Mensch in sich genug, womöglich nur verborgenes Potential trägt, um sich selbst zu heilen. Dies kann er allerdings nur in der Begegnung mit anderen Menschen. Durch den Kontakt mit der Gemeinschaft soll der Patient seine eigenen positiven Werte wieder erkennen und sein Selbstvertrauen stärken, um diese wiederentdeckten Fähigkeiten später in der alltäglichen Umgebung nicht wieder zu verlieren.
- 12-Schritte-Programm / Selbsthilfegruppen
- Therapeutische Lehr-Lern-Gemeinschaft
- Systemische Familientherapie
- Bonding-Psychotherapie nach Dan Casriel
- Fastenvereinbarungen
Dinge hinzunehmen,
die ich nicht ändern kann,
den Mut,
Dinge zu ändern,
die ich ändern kann
und die Weisheit,
das eine vom anderen zu unterscheiden.
Gott GIBT (gebe) mir Geduld mit Veränderungen, die ihre Zeit brauchen
und Wertschätzung für alles, was ich habe,
Toleranz gegenüber jenen mit anderen Schwierigkeiten
und die Kraft,
aufzustehen und es wieder zu versuchen,
nur für heute.
Original von Friedrich Christoph Oetinger (1702 - 1782)
adaptiert von Anna Gigante